21. Dezember – Die längste Nacht

Experimentelles Foto: Eine kreisrunde Aufnahme des nächtlichen Horizonts. In der Mitte erkennt man die Milchstraße. Der Kreis ist umgeben von einer Graslandschaft. Im Vordergrund trägt eine Frau in einem langen geblümten Kleid eine Schachtel, aus der die Milchstraße aufzusteigen scheint.

Heute ist Wintersonnenwende, das heißt die Sonne hat ihren niedrigsten Stand des Jahres über dem Horizont auf der Nordhalbkugel. Für uns bedeutet das: Es wird eine lange Nacht. Über 16 Stunden Dunkelheit gilt es zu überwinden.

Hast du schon mal wirkliche Dunkelheit erlebt? Ich erinnere mich ans Freakstock in Borgentreich. Das Gelände lag zwischen Feldern, abseits von Dörfern und Städten und wurde nur punktuell beleuchtet. So konnte man im Schatten der Häuser tatsächlich nachts die Milchstraße sehen. Eines Nachts lagen wir zu dritt auf einer Wiese und staunten über den Nachthimmel. Es waren so viele Sterne, dass wir kaum die bekannten Sternbilder ausmachen konnten. Dieser Moment war magisch. Wir fühlten uns klein im Universum und dennoch geborgen im Wissen, dass Gott uns sieht.

Wenn ich nachts in Berlin unterwegs bin, ist es nirgendwo dunkel. Überall leuchtet und blinkt es. Als ich meinen Töchtern den Sternenhimmel zeigen wollte, hatten wir Mühe selbst in einem unbeleuchteten Park mehr als eine Handvoll Sterne zu entdecken.

Schlimmer ist die Schlaflosigkeit. Derzeit blinkt die Weihnachtsbeleuchtung meiner Nachbarn so geschickt ins Schlafzimmer, dass ich kaum zur Ruhe komme. An die 24-Stunden-Beleuchtung des Müllplatzes habe ich mich fast gewöhnt.

So wie mir geht es vielen. Die Lichtverschmutzung, also die Abwesenheit völliger Dunkelheit, führt zu zahlreichen Problemen. Neben Schlafstörungen ist sie die Ursache für das Sterben von nachtaktiven Insekten, einen gestörten Tag-Nacht-Zyklus von Tieren, Veränderungen des Wachstumszyklus von Pflanzen und die Beeinträchtigung von astronomischen Beobachtungen.

Aber was ist die Lösung? Alles Licht ausschalten? Zurück in die Frühzeit, als die Menschen bei Sonnenaufgang aufstanden und sich mit dem Sonnenuntergang in ihre Hütten zurückzogen? Erhöht die Beleuchtung nicht die Verkehrssicherheit? Sehen Weihnachtsbeleuchtung und angestrahlte Kirchen nicht schön aus?

Licht erfüllt viele Funktionen und soll es auch weiterhin. Ich rege nur an, auch mal die Dunkelheit auszuhalten. Wie ist das, wenn ich alle künstliche Lichtquellen ausschalte? Was sehe ich in meiner Wohnung, in meiner Nachbarschaft? Was wird wie lange beleuchtet und braucht es das überhaupt?

Du Dunkelheit, aus der ich stamme
ich liebe dich mehr als die Flamme,
welche die Welt begrenzt,
indem sie glänzt
für irgend einen Kreis,
aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.

Aber die Dunkelheit hält alles an sich:
Gestalten und Flammen, Tiere und mich,
wie sie’s errafft,
Menschen und Mächte –

Und es kann sein: eine große Kraft
rührt sich in meiner Nachbarschaft.

Ich glaube an Nächte.

Rainer Maria Rilke

Bettina kann gut im Dunkeln sehen und mag am liebsten den Moment, bevor die Sonne aufgeht (auch wenn sie ihn viel zu selten erlebt).

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