GottMachtPolitik – Predigen

Ein Mann hält ein Buch in der Hand, der rechte Arm ist fordernd erhoben. Seine Zuhörer scheinen vor ihm zu sitzen.

Da war ich neulich in einem Gottesdienst und war danach ziemlich enttäuscht von der Predigt. Soweit, so normal. Allerdings fand ich die Predigt zu politisch. Das passiert eher seltener. Oft fehlt mir eher der Bezug zum aktuellen Weltgeschehen. Grund genug für mich zu überlegen, was für mich eine Predigt braucht und was nicht, um eine gute politische Predigt zu sein. Ich gestehe, auch ich bin beim politischen Predigen sicher schon übers Ziel hinausgeschossen.

Ein paar Worte vorab, die eigentlich für jede Predigt gelten

  • Eine Predigt ist immer vom Kontext abhängig. Wer hört zu? Was ist der Anlass des Gottesdienstes? Eine Gemeinde, die politisch hoch engagiert ist und gewohnt, im politischen Diskurs zu sein, kann anders angesprochen werden, als eine Gemeinde, die kaum Berührung mit politischen Themen hat.
  • Bei Predigten wird unterschieden zwischen Themen- und Textpredigten. Erstere geht von einem Thema aus und sucht sich dazu passende Bibelstellen. Letztere beginnt mit einem Bibeltext und entwickelt daraus Themen. Viel schenken sich beide Varianten nicht. Da ich, wenn ich Bibeltexte zu einem Thema suche, ich diese – hoffentlich – auch kritisch anschaue, was er aussagt. Wenn ich den Bibeltext nicht ernst nehme, brauche ich ihn gar nicht erst konsultieren. Dann predige ich aber nicht, sondern halte eine Rede. Oft verändert der Bibeltext noch einmal die Zielrichtung meiner Predigt. Anfänger*innen empfehle ich, sich auf einen Bibeltext zu konzentrieren und von diesem ausgehend die Gedanken zu entwickeln. So verhindert man auch die Gefahr, eine Rede zu schreiben, die nur flankiert wird von kontextlosen Bibelversen.
  • Meine Empfehlung ist: Nimm dir einen Bibeltext und frage dich, was er aussagt. Geht es um Gnade oder um Gerechtigkeit? Um Schöpfung oder Ethik? Was ist das Kernthema? Als zweiten Schritt ziehe eine Verbindung zu aktuellem Geschehen. Kommt das Phänomen in der aktuellen politischen Lage gerade vor? Hilft mir das allgemeine Prinzip des Textes, eine Problematik in meinem Leben besser anzugehen? Frage dich, wie Gott durch diesen Text die Situation bereichern kann? Was ist das mehr im Vergleich zu einer politischen Debatte?

Don‘ts

  • Vermeide, den moralischen Zeigefinger zu heben. „Man sollte …“ – „Es wäre besser, wenn …“ oder Sätze, die nahe legen, was andere tun sollten, sind weniger hilfreich. Genauso wirken Aussagen darüber, was man selbst so alles schon erreicht hat. Wenn du von dir erzählst, erzähle von deinem Scheitern, deinen stolpernden Versuchen, deinen Bedenken und wie du sie überwunden hast. Ich erzähle seit einem Jahr, allen die es hören wollen und allen anderen, dass ich kein Auto mehr brauche. Die Leute hören meist höflich zu, aber glauben vermutlich, dass ich eine ganz schöne Angeberin bin; sie das nie umsetzen können und ich in ihrer Situation vermutlich auch nicht aufs Auto verzichten könnte. Wesentlich interessanter ist es, wenn ich erzähle, wie ich mit mir gerungen habe und schon viel früher mein Auto hätte verkaufen sollen. Wenn ich von den Gedanken erzähle, dass ich doch unbedingt ein Auto brauche, ohne überhaupt den Busfahrplan von vor Ort zu kennen oder mich über gute Fahrräder informiert zu haben.
  • Parteipolitik gehört nicht auf die Kanzel. Am Wahlsonntag darf man dazu aufrufen, wählen zu gehen. Man kann auch andeuten – auch wenn das meinem folgenden Punkt widerspricht –, dass man eine demokratische Partei wählen soll. Aber die Zeiten, in denen der Pfarrer (kein Gendern nötig) am Wahlsonntag daran erinnerte, dass nur eine Partei wirklich christlich sei, sind Gott sei Dank vorbei! Alles andere gehört nicht auf die Kanzel. Weder ein Bashing der Partei, die man nicht mag, noch ein Hochjubeln der eigenen Lieblingspartei. Das darf man gerne nach dem Gottesdienst tun. Ich habe schon in einer mir fremden Gemeinde gepredigt, um Werbung für eine Unterschriftenaktion der Klimabewegung zu machen. In der Predigt ging es aber zunächst um Schöpfung und erst bei den Abkündigungen habe ich mein Anliegen erklärt.
  • Lass Andeutungen weg. Wenn du etwas nicht beim Namen benennen willst, dann lass es wirklich weg. Sage nicht „… wie es manche Politiker gerade vertreten.“ Du willst diese Politiker nicht benennen, weil Parteipolitik nicht auf die Kanzel gehört? Dann lass es wirklich weg. Suche andere Beispiele! Das kostet Zeit. Eventuell findest du etwas in der Geschichte. Geh auch nicht davon aus, dass alle Zuhörenden das komplette politische Weltgeschehen kennen und jede Andeutung einordnen können. Wenn du etwas anreißt, erkläre es, sodass auch eine unpolitische Person es versteht.
  • Es ist nicht dein Job, jedes politische Geschehen zu bewerten. Es theologisch, biblisch und christlich einzuordnen ist etwas anderes. Das kann beispielsweise sein, anzuerkennen, dass man einen Punkt nicht nachvollziehen kann. Vermutlich ist es eine gute Übung, der anderen Partei zunächst einmal gute Absichten zu unterstellen. Ein Freund hat mir vor der letzten Bundestagswahl erklärt, was die SPD mit einem Klimakanzler meint. Ich fand das Konzept gewöhnungsbedürftig, habe aber verstanden, dass der Freund in der SPD wirklich einen Weg zur Klimapolitik sieht. Ich kann ihn leider nicht mehr fragen, ob er das heute noch unterschreiben würde.
  • Vermeide Klischees und banale Beispiele. Dazu gehören Phrasen, wie „die da oben“. Wer sind denn „die da oben“ und könnten die wirklich alles einfach so besser machen? Solche Redewendungen sind typische Populistensprache und spielen denen auch in die Hände. Genauso nervig sind die üblichen Verdächtigen bei Beispielen. Eine Geschichte über zivilen Ungehorsam? Bonhoeffer und Martin Luther King sind nicht die Einzigen, die in der Weltgeschichte etwas verändert haben, indem sie sich geweigert haben, sich anzupassen. Beispiele zu finden, die nicht jede*r kennt, bedeutet, suchen und schon im Vorfeld aufmerksam durch die Welt gegangen zu sein. Das ist nicht mal schnell passiert. Regelmäßige Predigthörende werden es dir aber danken und wenn du Beispiele der aktuellen Zeit findest auch diejenigen, deren Reichweite du erweitert hast.

Do´s

  • Mache mir Hoffnung! Lass mich am Ende mit Motivation nachhause gehen, dass ich wirklich etwas verändern kann. Gib mir Mut, Dinge anzupacken, selbst wenn ich nur ein ganz kleines Rädchen im Getriebe bin. Hilf mir, Gott zu vertrauen und gleichzeitig Kraft für mein Engagement zu schöpfen. Mache mir Handlungsvorschläge, die über den Kaffee aus dem Weltladen hinausgehen.
  • Überrasche mich! Lenke meine Gedanken gerne in eine Richtung, die sie nicht gewohnt sind. Fordere mich heraus, Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen! Rede mir nicht nur nach dem Mund. Erzähle mir von Projekten und Initiativen, die ich noch nicht wahrgenommen habe. Hab keine Angst, mich zu überfordern oder meine Meinung zu konfrontieren. Ich bin erwachsen! Ich kann mich auch entscheiden, deinen Gedanken nicht zu teilen. Ich bin dir trotzdem dankbar, dass du mir deine Haltung erklärst!
  • Erkläre mir anhand politischer Vorgänge Gott und anhand biblischer Weisheiten die Politik. Das Weltgeschehen ist so komplex, dass niemand alles im Blick hat. Wenn du mir etwas zeigst, was derzeit nicht gerade Schlagzeile ist, habe ich auf jeden Fall am Ende deiner Predigt etwas gelernt. Du hast Bezüge nach Chile? Dann lerne ich vielleicht, dass die gerade einen sehr jungen Präsidenten aus der linken Studentenbewegung haben.
  • Öffne meine Bubble! Bis ich vor drei Jahren einen lieben Freund kennengelernt habe, hatte ich eigentlich keinen wirklichen Plan, warum es Gewerkschaften gibt. Heute bin ich nicht nur Mitglied in einer Gewerkschaft, ich bekomme auch sehr gut mit, wer gerade wo streikt und warum. Ich reagiere empfindlich, wenn ich mir beim nächsten Bahnstreik die üblichen Phrasen auf Arbeit anhören muss. Hast du ein Thema, was ich bisher nicht wahrgenommen habe? Kennst du faszinierende Menschen, deren Themen man sonst nicht so schnell begegnet? Ich werde an deinen Lippen hängen!

Am Ende möchte ich dich ermutigen: Predige! Predige politisch! Erstens lernt man am besten durch Übung und zweitens brauchen wir mehr Menschen, die über Gott und ihren Glauben reden und zwar so, dass dieser Glaube etwas mit dem Leben zu tun hat.

Ich finde immer noch die Predigt von Sandra Bils auf dem Kirchentag in Dortmund ein Paradebeispiel einer politischen Predigt.

Deutscher Evangelischer Kirchentag 2019 Predigt Schlussgottesdienst Sandra Bils – YouTube

Welche Predigt hat dich begeistert? Schreib es in die Kommentare.

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