Des Seitentrotters psychologisch korrekte Weise

Ein junger Mann im Hoodie sitzt auf einem Sessel im Freien und starrt ins Leere.

Es gab da mal im Freaksuniversum eine Band mit Namen „Exakt“. Sie spielte etwas zwischen Hardcore Metal und Punk. Sie stand auf der Liste der möglichen Verpflichtungen für einen Auftritt in unserem damaligen Club in St. Gallen. Wir hatten Abhängabende, hingen an unserer Bar und organisierten Konzerte. Wir gestalteten unsere kleine Freaksgruppe nach unseren Vorlieben: Wir liebten das Kreuz und das Schwarz, hingen in entsprechenden Kneipen rum, gestalteten unsere eigene kleine Gemeindeordnung.

Das mit der christlichen Gemeindeordnung nahm vor 2.000 Jahren seinen Anfang. Der von Jesus angekündigte Beistand Gottes wurde gerade ausgegossen und die Jünger in Jerusalem bekamen viel zu tun. Es musste eine Aufgabenteilung her, eine erste Ordnung, der Start für gabenorientierte Arbeit.

Es heißt, die ersten Jünger hätten gebetet und Leute für den Sozialdienst ausgesandt. Einer war Stephanus. Ein Mann mit starkem Glauben und einem Herz für die Armen. Wir kennen seinen Weg. Sein Weg den Glauben zu leben, endete sehr, sehr traurig: Er starb in einem Hagel von Steinen. Der erste Märtyrer für Jesus.

Seither wurden Menschen verfolgt, verbrannt, gecancelt und gedisst. An vielen Orten der Kirchengeschichte tat der Klerus alles, um das Zeugnis dieser Ketzer zu vaporisieren. Alles nur, weil sie es mit ihrem Glauben exakt und korrekt, also sehr genau genommen haben. Exakt und korrekt haben in der heutigen Zeit noch eine andere Note: Sie haben eine ungemütliche Ausstrahlung und verbreiten unter uns ein unterschwelliges Unwohlsein.

Das gleiche ist mir passiert, als jener Mensch im Kommandoraum des Übungsliftes meiner jetzigen Saisonstelle bei den Toggenburger Bergbahnen stand. Ich fühlte mich unbestimmt unwohl und fragte mich: Wohin gehört dieser Mensch?

Er hatte ungewaschene, ungeschnittene Haare, einen Dreitagebart, hatte das schweizerische Gnägi, ein Militärleibchen, über der Hose. Aus seinem kantigen Gesicht schauten ein Paar Augen – du wusstest nicht, hat er eine Scheibe, zu viel Medikamente intus oder war er einfach ein Träumer.

Die Reaktion meiner Mitarbeiter, wenn auch nicht laut ausgesprochen, war so klar wie irgendein Bergbach nur sein kann: Der kommt nicht in unser Team. Und meine Frage war beantwortet. Der junge Mann, er hieß Benjamin, war hier, um einen ersten Eindruck dieser Arbeit zu gewinnen. Er war auf der Suche nach einem Job. Benjamin würde diese Stelle nie antreten, nur das sagte man ihm nicht so direkt. Die Verantwortlichen der Bergbahnen ließen ihn schnuppern, ließen ihn mal von der Leine – alles im Wissen, dass sie ihn nicht einstellen werden.

Als ich ein paar Tage später wieder an diesen Benjamin dachte, schien es mir, als hätte Gott einen Engel geschickt. Ungewaschen, unrasiert und irgendwie verklärt. War er so etwas wie ein Bote Gottes? Die Umstände hätten gepasst. Als Mensch passte er nicht in das Schema, konnte ganz bestimmt nicht eine Schraube korrekt in die Hand nehmen, war in seiner Art herausfordernd, ganz exakt jener Mensch, der den installierten Frieden unter uns störte. Denn eine Eigenart hatte ich noch nicht erwähnt. Benjamin erzählte für sein Leben gern. In einem Fluss textete er uns die Ohren voll. Und noch etwas war speziell, er trug diesen christlichen Pulli über dem Gnägi, mit dem großen Kreuz irgendeiner Jugendarbeit auf dem Rücken.

Das kennen wir aus der Jesus-Freaks-Bewegung: Ungemütliche Menschen, die viel Geduld erfordern. Menschen, die in der Gesellschaft durch die Maschen fallen, weil sie nicht konform genug sind. Menschen, die die Gemeinschaft der Christen durch ihre Eigenarten herausfordern.

Aber genau darum ist doch die Jesus-Freaks-Bewegung entstanden. Da fielen junge Menschen durch ihre wilde Musik und ihr etwas anderes Outfit auf. Die Botschaft, die wir lieben, wurde von der Bühne gepredigt, kompromisslos, gerade, korrekt.

Ebenso kann man die Herangehensweise Luthers verstehen. Er kam nicht mehr darum herum, die Errettung durch Gnade korrekt auszulegen. Was ein Widerspruch in der herrschenden Theologie war. Denn die Kirche verkaufte die Sakramente, füllte damit ihren Pott.

So stellt sich für mich, ich bin seit den späten Achtzigern mit Jesus unterwegs, heute wieder die Frage, was ist denn der korrekte Umgang mit dem Wort Gottes. Und darüber hinaus, was ist die korrekte Anwendung, wie soll der christliche Alltag aussehen?

Wie genau muss ich die Anweisungen der Bibel umsetzen. Welche Äußerungen muss ich beachten, respektive sind mir wichtig, welche nicht.

Jesus sagte einmal: „Ich tue nur das, was ich den Vater im Himmel tun sehe.“ Ganz genau. Wieder und wieder missachtete er die religiösen Gefühle der herrschenden Klasse. Er stellte sich mit Gott gleich, heilte am Sabbat, hing mit dem Abschaum rum. Man könnte sagen, seine Art zu leben spielte ungeachtet des Standes jede nicht niet- und nagelfest verankerte Einstellung an die Wand. Er liebte Gott, er liebte die Menschen, er war ein Wohlgeruch.

Das bringt mich zum letzten Punkt. Es ist gut, wenn wir als Christen, als gottzugewandte Menschen, das, was wir aus der Bibel verstanden haben, korrekt umsetzen. Wir tun es für uns, für unser Seelenheil, für eine gesunde Identität; für Gott, für Jesus, für uns und unsere Geschwister, aber nicht in erster Linie für die Welt.

Gott sei Dank haben wir die Freiheit, unser Glaubensleben zu gestalten. Und sei es nur wegen der Klamotten, dem Style und der Sprüche.

Christian lebt seit mehr als zehn Jahren mit seiner Familie in den Schweizer Voralpen. Als Autor und Journalist, der seine eigenen Projekte vorantreiben will, ist er auf Teilzeitjobs angewiesen. Im Winter ist er bei der Bergbahn angestellt.

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