23. Dezember – Welpen in der Futterschüssel

Ein Hund liegt auf einem Sessel. Dahinter steht ein beleuchteter und geschmückter Weihnachtsbaum.

Guten Tag, mein Name ist Einstein, Professor Einstein. Meine Menschen (ein Mann und eine Frau, beides nette Leute) sagen, ich wäre ein alter Hundeköter, meine Freunde nennen mich einen in Ehren ergrauten griechischen Edelmix. Das stimmt wohl beides irgendwie.

Neulich ist mir was seltsames passiert. Das heißt, eigentlich ist es mir nicht passiert, sondern ich habe es beobachtet. Aber ich werd nicht schlau draus, egal wie ich es wende. In meinem ganzen ereignisreichen Leben hab ich sowas noch nicht gesehen. Vielleicht können Sie es mir ja erklären.

Wir Vierbeiner haben bekanntlich einen guten Sinn dafür, wenn die Menschen was vorhaben. Deswegen hab ich gleich gemerkt, es ist was im Schwange – auch wenn ich meine Menschen noch nicht lange kenne, sie haben mich ja erst im Frühjahr aus Athen mitgebracht.

Jedenfalls schleppt der Mann auf einmal einen Baum ins Zimmer! Ich natürlich sofort mit der Nase dran, man muss ja wissen, wer sich so rumgetrieben hat. Gut, es ist ungewöhnlich, dass Bäume den Standort wechseln, aber die Reviere hier sind ein bisschen schwammiger als bei unseren wilden Vorfahren. Die Menschen begreifen nichts davon, die gehen auch durch fremde Reviere und dann musst du als Hund halt mit. Früher hätte es das nicht gegeben.

Der Baum war tot, und zwar schon eine Weile. Das Baumblut war schon vollständig aus ihm herausgetropft. Das ist ganz praktisch, weil es furchtbar klebt, aber um den Baum tat es mir leid.

Die Frau hat bei meiner Schnüffelei gelacht und mir freundlich erklärt, was für eine Sorte Baum es ist und dass er jetzt eine Weile da stehen wird. Fein, hab ich gedacht, dann gehört er also jetzt zu meinem Revier, und ich wollte das gerade markieren, da schubst der Mann mich schimpfend weg. Da soll mal einer durchschnuffen! Beim Gehen freut er sich, dass ich mein Bein hebe, und hier nicht?

Ich wurde in den Flur verbannt, und als ich endlich wieder ins Zimmer durfte, war der Baum über und über mit Zeug behangen, es blinkte und leuchtete und bimmelte und glitzerte, dass es mir fast zu viel wurde. Wenn sie damit bezwecken wollten, dass ich Abstand hielt von dem Baum, hatten sie ihr Ziel erreicht!

Damit war das seltsame Ereignis aber nicht vorbei, nein, meine Menschen wurden noch fahriger und unkonzentrierter und rannten noch mehr hin und her. Taten heimlich und versteckten Sachen. Ließen Menschenfutter offen in der Küche liegen. (Großzügig wie ich bin, habe ich aufgeräumt.) Ein paar Tage später war von einem Kind die Rede, das in einer Futterschüssel liegen sollte, und ich hab gedacht, kriegen meine Menschen endlich eigene Welpen? Das hat den Vorteil, dass ein Hund mehr Freiheiten bekommt, weil der kleine Menschenwelpe dann erst mal viel wichtiger ist.

Also, in meiner Futterschüssel lagen jedenfalls keine Welpen. Ich kann nicht mehr besonders gut sehen, aber die hätte ich ja bemerkt. Stattdessen hockte sich die Frau zu mir, streichelte mich ganz lieb und sagte, heute wäre endlich das Kindlein geboren und es wäre Heul-Nacht oder so ähnlich, und gab mir ein leckeres Pferdeohr.

Das Pferdeohr hat nichts mit der ganzen Angelegenheit zu tun, ich hab schon öfter eins gekriegt. Aber erklären Sie mir bitte: Warum stellen sich Leute zur Geburt eines Kindes einen toten Baum ins Zimmer?

Einstein – pardon, Professor Einstein ist für gewöhnlich im Nachdenken Weltspitze.

3 thoughts on “23. Dezember – Welpen in der Futterschüssel

  1. Lieber Einstein,

    Warum markierst du überhaupt einen Baum? Ich glaube, ich weiß es. Für dich ist er in dem Augenblick die Welt. Bei Menschen ist das aber nicht immer so einfach. Sie leben nicht so in dem Augenblick, weil sie auf viel mehr achten müssen. Der Baum erinnert sie daran. Ab und zu brauchen sie sowas. Lass sie also das kleine Stück Welt so markieren wie sie das wollen. Wenn sie es getan haben, leben sie auch wieder mehr im Augenblick 😉

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