Blick aufs Willo-Gelände (Foto: Jaana Espenlaub)
Nach gut 10 Jahren bei den Jesus Freaks Dillkreis bin ich mutig und verrückt genug, um alleine zum Willo zu fahren. Willo ist das jährliche Familientreffen der Jesus Freaks. Seit ein paar Jahren findet es im Ferienpark Thüringer Wald statt.
Vielleicht war ich auch vorher schon mutig und verrückt, doch erst bei den Freaks ist das alles zum Vorschein gekommen. Da kann man nämlich sein wie man ist. Keiner will einen verbiegen. Eine Stärke, die sich in der ganzen Jesus-Freaks-Bewegung zeigt und für die ich dankbar bin. Da saß ich nun also als Mutige und Verrückte so wie ich bin zwischen über 200 anderen Mutigen und Verrückten, die so sind wie sie sind im tiefsten Thüringer Wald. Ich staunte über den Kinderreichtum, der sich mir lautstark offenbarte und bereute ein bisschen, dass ich meine beiden Kids zu Hause gelassen hatte. Auf dem weitläufigen Gelände inmitten dieser herrlichen Natur hätten sie mit den anderen sicher viel Spaß gehabt. Doch es sollte so sein, wie es war, denn die ungestörten Gespräche beim Essen, Spazierengehen, während der Frühstücksschicht, in den Kleingruppen und abends nach der Lobpreiszeit mit all diesen interessanten und liebenswerten Menschen möchte ich nicht missen.
All diese Menschen haben sich auf den Weg gemacht, aus Hamburg, München oder Berlin, aus Münster, Leipzig, Stuttgart oder Marburg, sogar aus Rotterdam und London. Ob ganz bequem wie ich mit dem Auto, mit der Bahn oder sogar mit Sack und Pack gewandert, um in bunten Holzhütten, Campern, Zelten oder im Apartment zu übernachten und drei Tage Gemeinschaft im Namen von Jesus zu haben. Jesus, der uns trotz aller räumlichen, altersbedingten und sozialen Distanzen immer wieder eint. Der Redebedarf war groß. Schließlich konnte das Willo zwei Jahre nicht vor Ort stattfinden. Manch einer hat sich kaum noch wiedererkannt, neue Minifreaks sind geboren und aus Kids sind Teens geworden. Viel ist passiert in dieser Zeit. Da muss man sich erst mal wieder auf den neuesten Stand bringen. Auch der persönliche Glaube hat sich vielleicht verändert. Man musste lernen, mit Krisen umzugehen, persönlich und auch als Gemeinde. Ein Input von Ben aus Münster über die Wolke der Zeugen aus dem Hebräerbrief war ein guter Start und hat Mut gemacht, einander Zeugnis zu geben, trotz aller Zweifel über die eigene Unzulänglichkeit. Raum und Zeit für Austausch war reichlich, z.B. in den Kleingruppen, beim Essen oder bei Spaziergängen im Wald.
Der Wandel ist schwer auszuhalten
Bereits nach den ersten Gesprächen hatte ich den Eindruck, dass ich mit meinem Frust und meiner Enttäuschung über die Entwicklung meiner Gemeinde in den letzten Jahren nicht allein bin. Offenbar geht es vielen Gemeinden in der Jesus-Freaks-Bewegung ähnlich. Leute brechen weg, neue Leute kommen kaum noch. Gruppen sind geschrumpft oder haben sich sogar aufgelöst. Ansprüche haben sich geändert ‒ aus einem unbeschwerten jugendlichen Lifestyle ist ein Leben mit Verantwortung und Verpflichtungen geworden. Das Feuer von früher ist erstickt in Alltagssorgen. Man kann nicht mehr so viel für die Gemeinschaft leisten, wie man gerne würde. Wehmütig denkt man an alte Zeiten zurück, wo die Bewegung laut war und die einzelnen Gruppen viel Zulauf hatten und wünscht sich insgeheim etwas davon zurück. Dieser Wandel ist schwer auszuhalten, vor allem wenn einem eine Pandemie obendrauf einen fetten Strich durch die Rechnung macht. Geistliches Futter muss jetzt auch von außen kommen. Die Reserven sind irgendwann aufgebraucht. Man steht mit leeren Händen da und weiß nicht weiter.
Starke Wurzeln helfen uns, lebendig zu bleiben
Mit all diesen Gedanken im Gepäck wollte ich am Samstagnachmittag spazieren gehen. Vormittags hatte es geregnet. Deshalb freute ich mich über die Sonnenstrahlen, die sich langsam wieder ihren Weg durch die dunkle Wolkendecke bahnten und machte mich auf den Weg, der vom Camp direkt in den Wald führt. Langsam und stetig ging es bergauf. Der kleine Bach, der entlang des Weges plätscherte, kam mir, vom Regen genährt, rasant entgegen. Über viele Jahre muss sich das Wasser schon seinen Weg hier entlang den Berg hinab gebahnt und sich tief in das Schiefergestein gegraben haben. Ich staunte über die großen Buchen, deren starke Wurzeln sich an den steilen Uferhängen sichtbar tief in den Boden gegraben haben, um das Wasser vom Bach in sich aufnehmen zu können. Bei diesem starken Anblick fiel mir plötzlich der Vers aus Psalm 1 ein:
Glückwunsch dem, der nicht mitläuft in der Menge der Gottesfeinde und sich nicht hinstellt auf dem Weg der Übeltäter, ja, Glückwunsch allen, die nicht mit den Großmäulern zusammensitzen! Ja, glücklich zu preisen ist, wer die Lehre des HERRN mit Freude aufnimmt und sie Tag und Nacht in seinem Herzen bewegt! Solche Menschen sind wie Bäume, eingewurzelt an den Wasserläufen. Wenn die Zeit reif ist, bringen sie ihre Frucht und ihre Blätter verwelken niemals. Ja, alles, was sie anpacken, gelingt.
Psalm 1,1-3 DBU
Wie passend, dachte ich und ging weiter entlang des Bachlaufs den Berg hinauf. Und während ich so über den Vers nachdachte, kamen mir wieder all diese Menschen in den Kopf, mit denen ich mich unterhalten hatte und mir wurde klar, dass wir alle, die wir uns hier versammelt hatten, wie diese Bäume sind und uns mit unseren Wurzeln nach dem Wasser ausstrecken. Wir haben uns alle auf den Weg gemacht, weil wir Sehnsucht haben nach Jesus, der uns das lebendige Wasser verspricht. Seine Kraft wollen wir tanken, damit unsere Blätter nicht welk werden. Seinen Geist wollen wir wieder spüren, wie er durch uns durchfließt und durch die Begegnungen und Gespräche mit anderen aus uns heraussprudelt. Zeugnis sein, zuhören, einander Mut machen, miteinander Wachsen. Ein schönes Bild dachte ich mir. Danke Gott! Tut gut. Ich fange wirklich langsam an aufzutanken wie ein Baum am Wasser.
Ein verwüsteter Wald und eine Botschaft von Gott
Dann stand ich vor einer Weggabelung und musste mich entscheiden, ob ich weiter stetig bergauf, entlang des Bächleins laufe, umkehre, denn ich wollte ja auch eigentlich nur ein wenig spazieren gehen oder ob ich abbiege, den Bachlauf hinter mir lasse und mit Hilfe von Google Maps einen anderen Weg zurück zum Camp wage. Meine Neugier entschied sich für den anderen, neuen Weg. Der Schotterweg führte weg vom Bachlauf, noch etwas steiler bergauf. Nach einer Weile sah ich am Wegesrand einen Stapel Baumstämme. Auf dem Boden lagen Reste von Rinde und Furchen vom Abtransport der Baumstämme waren zu erkennen. Als ich um die nächste Kurve bog, wurde mir das Ausmaß der Zerstörung des Waldes schlagartig offenbar. Die Sicht war weit, denn der Berg, auf dem ich gerade stand, war kahl geschlagen worden. Am Wegesrand lagen überall weitere Stapel mit Baumstämmen. Erschrocken von diesem Anblick der Zerstörung blieb ich stehen und sah hinunter ins Tal aus dem ich kam. Was für ein krasser Kontrast, dachte ich. Da unten diese herrliche Waldidylle und hier oben so eine heftige Verwüstung. Der Thüringer Wald ist eben auch nicht verschont geblieben von Trockenheit und Borkenkäfern, stellte ich fest und ging enttäuscht weiter. Mein Herz blutet, wenn ich die Entwicklung unserer Wälder sehe. Der Wald ist so ein schöner Ort, an dem man Ruhe finden und Gottes Schöpferkraft spüren und seine Genialität bewundern kann. Traurig, wenn dieser Ort immer mehr stirbt, weil er krank ist.
Wieder blieb ich stehen und blickte auf leblose Baumstümpfe. Da fiel mir das Bild von den Bäumen am Wasser wieder ein und die Gespräche mit den Menschen über die traurige Entwicklung in unseren Gemeinden. Und dann dämmerte mir, dass nicht nur der idyllische Teil des Waldes zu uns gehört, sondern auch der kaputte Teil. Der ganze Wald ist ein Bild für die Jesus-Freaks-Gemeinden. Der Wald spiegelt den aktuellen Zustand der Bewegung wieder. Da unten im Tal, wo das Bächlein hindurchfließt, stehen starke Bäume, die ihre Wurzeln in das Wasser und den feuchten Boden strecken. Das sind alle, die ihre Kraft aus Gottes Wort ziehen und so Wachstum und Widerstandskraft erfahren. Die Bäume hier oben stehen für alle, die sich vom Wasser entfernt haben. Ihr Boden ist viel zu trocken. Ohne Wasser sind die Bäume immer schwächer geworden und waren so anfällig für äußere Feinde, wie den Borkenkäfer und für Stürme. Sie sind weggebrochen und hinterlassen Chaos.
Ein bedrückendes Gefühl, so mittendrin in diesem Chaos zu stehen. Und nur schwer auszuhalten. Lieber wäre ich jetzt wieder am Wasser. Ich ging weiter und entdeckte an einem der toten Bäume, der noch stand, ein Schild vom Thüringer Forst. Darauf stand:
Willkommen in unseren Wäldern. Wir Förster und Waldbesitzer geben diesen Wald nicht auf, sondern sorgen dafür, dass hier bald ein neuer, klimastabiler Zukunftswald für unsere Enkel und Urenkel entsteht.
Was für eine hoffnungsvolle Nachricht. Da ist jemand, dem der Zustand dieses Waldes nicht egal ist. Jemand, der sich darum kümmert, dass ein neuer Wald entstehen kann, ein Wald der stärker und widerstandsfähiger ist, als der vorherige Wald, damit auch unsere Enkel und Urenkel noch etwas davon haben. Da freut sich doch das Herz der Umweltschützer*innen. Meins auch, aber vor allem, weil Gott mir ‒ spätestens hier war mir klar, dass all diese geistlichen Eindrücke nicht nur für mich waren, sondern für uns alle ‒ und uns sagt, dass er uns nicht im Stich lässt. Gott gibt unsere Bewegung nicht auf, Gott gibt dich nicht auf! Er lässt Neues entstehen, damit auch unsere Enkel und Urenkel noch vom lebendigen Wasser trinken können. Vielleicht wächst dieses Neue schon mitten unter uns auf.
Unsere Kinder machen mir Hoffnung. Wie selbstverständlich sie die Gemeinschaft und die Angebote für sie nutzen und wie schnell sie in diesen drei Tagen neue Freundschaften miteinander geknüpft haben. Wenn sie irgendwann das Ruder übernehmen, sind sie vielleicht besser auf Krisen vorbereitet, als wir es waren. Aber Gott will auch unsere alten, versteinerten Herzen erneuern, deren Boden vielleicht ein bisschen trocken geworden ist. Was die Bäume brauchen, ist Regen, kein Starkregen, der ein oder zweimal im Jahr zu besonderen Anlässen auf sie niederprasselt, sondern sanften und stetigen Regen, der die Erde feucht hält und nach und nach tiefer und tiefer zu den Wurzeln durchdringt. Also bleib dran. Wir dürfen Gott unsere leeren Hände, mit denen wir vielleicht gekommen sind, hinhalten und sie neu füllen lassen. Wir dürfen Gott blind vertrauen, dass er den Boden gut vorbereitet, damit neue Bäume wachsen können, dem Licht entgegen. Wenn wir nur ein wenig Geduld und Vertrauen aufbringen, dann werden auch wir Zeugen davon sein, wie Gott sein Reich baut, mitten unter uns.
Der Weg zurück zum Camp führte mich in Serpentinen den abgeholzten Berg hinunter. Schon von weit oben drangen die Stimmen der spielenden Kinder aus dem Camp zu mir und bestätigten meine neu gewonnene Hoffnung. Unten angekommen stand ich wieder unter dem kühlenden Blätterdach des Waldes und da floss auch wieder das Bächlein. Während ich durch das Tor zum Camp ging, kam mir noch ein Bibelvers in meine Gedanken, der mir gerade sehr viel bedeutet und mit dem ich gern abschließen möchte:
Ich bin davon überzeugt: Gott, der in euch mit seiner guten Arbeit angefangen hat, wird sie auch zu einem guten Abschluss bringen. Das wird er tun bis zu dem Tag, an dem der Messias Jesus alles bestimmen wird.
Philipper 1,6 DBU
Mascha ist zwischen den sieben Siegerländer Bergen an der Sieg in einer Stadt namens Siegen geboren und hat vor langer Zeit im märchenhaft schönen Marburg an der Lahn etwas mit Sprache und Literatur studiert. Dann kam Ritter Eduard, der erste Freak von der Dill, eroberte sie und nahm mit in sein elterliches Anwesen auf dem Galgenberg in der Oranienstadt Dillenburg. Sie schenkte ihm zwei zauberhafte Kinder, die sie durch Freud und Leid ins Leben begleiten. Seit einem Jahr darf sie die Jesus Freaks Dillkreis mitlei(d)ten. Wenn Mascha der Alltag mal zu bunt wird, flüchtet sie in den Wald, denn Bäume lehren sie Ehrfurcht und machen ihr Mut, allen Widrigkeiten zum Trotz, weiterzuwachsen.
schön beobachtet, Mascha!