Neuordnung der Gesellschaft – Christian und ich

Christian und ich

In der Apostelgeschichte*) lesen wir, dass die Versorgung der Witwen und Waisen recht bald nach Gründung der ersten Gemeinde zu Spannungen führte. Die einen fühlten sich vernachlässigt, die anderen fürchteten um ihre „Privilegien“ aus Herkunft oder Erstreligion … Ich stelle mir vor, wie die Apostel vor lauter Wünschen, Bittgesuchen und Forderungen gar nicht mehr dazu kamen, ihr eigenes Glaubensleben zu leben. Ihre Postfächer dürften übergelaufen sein. Deswegen entscheiden sie klug, dass nicht länger jeder für alles zuständig sei, sondern die Aufgaben verteilt werden sollten. Stephanus, Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas und Nikolaus wurden berufen, um sich ganz den Diensten neben denen am Wort Gottes zu widmen, und so auch der Versorgung der Armen.*) Erfunden ist die Diakonie, was nichts anderes bedeutet, als dass eine Nachbarschaft sich um jemanden aus ihrer Mitte kümmert, dem es nicht so gut geht. Das kam ja schon bei den Hinterlassenen in Teil 1 zur Sprache. Als praktisches Beispiel: Die alte Frau Schmitz kann nicht mehr gut laufen, also kauft Nachbar Tim für sie mit ein.

Dehnen wir die Nachbarschaft ein bisschen! Wer unterm Existenzminimum lebt, bekommt mehr Geld. Kinder sollen nicht darunter leiden müssen, dass ihre Eltern, aus welchem Grund auch immer, keinen Job haben. Wer sein Leben lang geschuftet hat, bekommt eine angemessene Rente, Gerechtigkeit und seine Würde zurück, denn Flaschensammeln ist vorbei! Soziale Einrichtungen müssen nicht länger jeden einzelnen Cent dreimal umdrehen und die Zeiten, da fast alle Schulen nur Schulsozialarbeiter in Teilzeit zur Verfügung hatten, sind endlich Geschichte.

Dehnen wir die Nachbarschaft noch ein bisschen mehr: Die klammen Städte im Ruhrgebiet bekommen Hilfe, der Länderfinanzausgleich fluppt, global gesehen kümmern sich Staaten umeinander, freiwillig, verbindlich und ohne auf Gegenleistung zu bestehen. Die beste Motivation dazu ist die Liebe – so geschehen beim Nachbarn von Frau Schmitz. Die zweitbeste ist der Verzicht auf die Gegenleistung: wenn die gesellschaftliche Ordnung eine Entschuldung nach 7×7 plus einem Jahr*) vorsieht, bleiben die Formen geleisteter Hilfe ja ohnehin „in der Familie“, da sie in spätestens einem halben Jahrhundert wieder neu, d.h. gerecht verteilt werden.

Leider sind wir noch kein wirklich christliches Abendland, denn nur die Existenz von Kirchengebäuden reicht nicht aus. Weil ich englisch rede, werde ich keine Engländerin. Und an den Füßen von der Decke zu baumeln macht mich nicht zur Fledermaus.

Klingeling, wer ruft an?

Klug wäre, wenn ich ein paar Lösungsvorschläge zur Hand hätte, statt nur Missstände festzustellen. Denn: meckern kann ja jeder.
Gesetzt den Fall, Christian Lindner riefe mich morgen an und wollte meine Ideen haben – ich wäre überrascht, da ich kein FDP-Wähler bin, andererseits ist es gut möglich, dass sich unsere Wege mal gekreuzt haben, da wir in derselben Kleinstadt zur Schule gegangen sind – so würde ich ihm vorschlagen, nicht bis zum nächsten Jubeljahr zu warten, sondern den Reichen bereits jetzt etwas Geld abzuziehen und ebenso den Armen bereits jetzt mehr Geld zu geben. Die Neuverteilung zum Erlassjahr ist sicher leichter zu ertragen, wenn man sich auf die geänderten Umstände vorbereiten kann.

Um die Verteilung für die Zukunft einfacher zu gestalten, lautete mein nächster Tipp, den Spitzensteuersatz*) anzuheben. Das ist kein Sozialismus, außer unser langjähriger Bundeskanzler Helmut Kohl war auch ein Sozialist: unter seiner Regierung lag der Satz zuletzt bei 53% und ist seitdem nur gesunken. Weiter lautete mein Rat, die Steuererleichterungen abzuschaffen für Dienstwagen (alles große Karossen) und umzuverteilen – zum ÖPNV, um das Radwegenetz auszubauen und die Städte lebenswerter zu machen.*) Außerdem sollten Erbschafts- sowie die Grundsteuer angehoben werden, selbst wenn wir uns unbeliebt machten bei den Leuten, die gerade Omma ihr klein Häusken mit Ausbesserungsbedarf geerbt haben und dann zur Renovierung auch noch viele Steuern zahlen müssten. Allerdings würde das Unbeliebtsein nicht lang andauern, denn die Steuerlast würde sich durch Senkung anderer Abgaben ausgleichen.

Omma ihr klein Häusken …
Foto: J.Pfläging

Nachdem wir – Christian und ich – in Robin-Hood-Manier das Geld den Reichen genommen hätten, könnten wir es den Armen geben. Da soll es ja schließlich hin: Robin hat es auch nicht den einen Reichen weggenommen, um es dann anderen Reichen zu geben. Allerdings würde ich ihm ausreden, es mit einem verkniffenen „Heil dir, oh Hubertus!“ in die endlich oppositionsgefällige Kasse des Bürgergelds zu kippen. Stattdessen würde ich ihn mit einer großartigen Idee bekannt machen: dem Bedingungslosen Grundeinkommen (im folgenden BGE abgekürzt).

Schade um die vielen Arbeitsstunden, die Heils Mitarbeiter in das Bürgergeld gesteckt haben! Mit dem BGE ist das groß angekündigte Sozialreförmchen gar nicht mehr nötig.
Ja, hätten sie mich doch früher angerufen! Sie hätten sich nicht mit dem Sauerländer Miesepitter anlegen müssen, der sowieso alles torpediert, was eine politische Union ohne Unionsbeteiligung präsentiert. Von wegen, das Bürgergeld sei die Vorstufe vom BGE! Damit beweist der Sendemast von Arnsberg*), dass er vom BGE keine Ahnung hat. Diskutieren wir über 50€ mehr, damit das Bürgergeld über die 500€-Grenze klettert, oder 1.000 bis 1.200€ – monatlich, für jeden, bedingungslos?*)

bezahlte Arbeit = gute Arbeit

Jajaja, kaum reden wir über „bedingungslos“, kommt natürlich die Gerechtigkeitsdebatte. Ist das denn gerecht, fragen die Armen, wenn die Reichen einfach so 1.000€ geschenkt bekommen, die brauchen sie doch gar nicht? Ist das gerecht, fragen die Arbeitnehmer, wenn Arbeitslose so viel Geld geschenkt bekommen, die wollen dann doch gar keinen Job mehr? Ist das gerecht, fragen die Alten, wenn Babys 1.000€ bekommen, die haben doch noch gar nichts geleistet? Und die Alleinstehenden erheben sich gegen die Familien, Hundebesitzer gegen Gartenfreunde, Freibadbesucher gegen Museumsgänger und was weiß ich, wer sich sonst noch ungerecht behandelt fühlt. Aber wenn etwas „bedingungslos“ ist, ist es „gerecht“: Es ist ja für alle. Sogar für die Ausländer! Ojottojott! Die kommen dann ja in Scharen zu uns!
Tja, Christian, Neuordnung der Gesellschaft geht nicht ohne Gegenwind und Anfeindungen, und es dauert auch ne Weile, bis sich die Unruhe legt.

Der Vorteil des BGE ist nämlich, dass endlich nicht mehr nur bezahlte Arbeit gute Arbeit ist. Wir definieren endlich die Leistungsgesellschaft neu. Das Ehrenamt, seit Jahren unterfinanziert und deshalb immer weniger zu leisten, kann tief durchatmen und die Gesellschaft reformieren. (Meines Erachtens das einzige, das unser Land vor dem endgültigen Kollaps retten kann.) Es geht dabei ja längst nicht nur um Sportvereine, sondern auch um

  • Gymnastik, Vorlesen und Singen für Kinder,
  • Musikschule,
  • Schulgarten anlegen,
  • Inklusive Schulbetreuung,
  • Deutsch für Ausländer,
  • Studienbegleitung,
  • Reparaturen-Café,
  • Tauschbörse für Kleidung, Möbel und Elektrokleingeräte,
  • nachbarschaftliche Helferdienste in Haus und Garten,
  • Leihgroßeltern, Leih-Enkel und ein Leih-Knuddelhund
  • Gymnastik, Vorlesen und Singen für Senioren,
  • Stadtteilentwicklung: Autos weg, Urban Gardening her!,
  • Straßenfeste mit Open-Air-Kino,
  • Therapeutisches Reiten,
  • Gassi-gehen fürs Tierheim,
  • Typisierung von Knochenmarkspendern,
  • freiwillige Feuerwehr, THW, DLRG und Seenotrettung – in der Nordsee wie im Mittelmeer
  • Aussteigerprojekte aus der radikalen oder fundamentalistischen Szene sowie der Prostitution
  • Pflege von vernachlässigten Parkanlagen,
  • Renaturierung von Industriebrachen und kanalisierten Bächen, … *)

… all die wichtigen Dinge, die die Gemeinschaft stärken, das Gemeinwohl fördern und unser Deutschland zu der liebens- und lebenswerten Heimat machen, die es eigentlich ist. All die Dinge, für die heutzutage immer weniger Geld zur Verfügung steht.

In dem Zuge könnten wir (da wir nun mal dran sind) auch noch was für den Umweltschutz tun. Die großen Dienstwagen zu ver(s)teuern, ein Tempolimit einzuführen und den Verbrauch der Spritschleudern zu drosseln ist unpopulär; Gegner argumentieren gerne mit den vielen Arbeitsplätzen, die dadurch in der Autoindustrie verloren gehen. Aber wie wäre es, den großen Autobauern neue Perspektiven aufzuzeigen? Nicht länger gediegene Edelkarossen und das höher-schneller-weiter von Ingolstadt bis Zuffenhausen sollen fortan für Renommee sorgen, sondern klimaneutrale Flugzeuge und Schiffe und der riesige Bereich der Robotik und Künstlichen Intelligenz. Da gibt es jede Menge zu tun! Neue Märkte!
Aber um darüber kompetent zu schreiben, müsste ich wahrscheinlich erst Maschinenbau studieren oder mindestens ein halbes Jahr Recherche voranschieben. Es hat ja nicht wirklich was mit der Neuordnung der Gesellschaft zu tun – wäre aber auch schön. Wenn schon träumen, dann richtig!

… äh, ja: weitergeträumt wird im nächsten Teil

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*) = Quellen, Anmerkungen und Verknüpfungen:
► Apg 6,1-7. Bibel zum Anklicken!
► die Versorgung der Armen. = Wortherkunft und Bedeutung Diakonie
►7×7 plus ein Jahr = was es damit auf sich hat, erfährst du im ersten Teil der Neuordnung der Gesellschaft
Spitzensteuersatz anheben  
► Städte lebenswerter machen = Anne Hidalgo und ihr Umbau von Paris
► Sendemast von Arnsberg = so nannte man Friedrich Merz zu Zeiten, als er noch ausschließlich in NRW von sich reden machte
► 1.000 bis 1.200€ fürs BGE = den Zahlen liegen verschiedene Berechnungsmodelle zugrunde und natürlich die Preissteigerung
► die Liste ist lang, meinst du? Sie könnte noch sehr viel länger sein

Julia hält das Leben mit Jesus für die einzig sinnvolle Lebensform, sub specie aeternitatis*, aber das BGE würde sie trotzdem gerne mal ausprobieren.

…du siehst das alles anders als ich? Darfst du! Nimm dir ein Kommentarfeld und lass uns drüber reden!

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*= sub specie aeternitatis ist Teil meines Angeberlateinwortschätzchens und bedeutet
„unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit“.
So ein Wortschätzchen Angeberlatein kann man immer gut gebrauchen, es klingt einfach unheimlich gebildet.

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