Martin auf Wacken – ein Angeber-Text

Festivalaufnahme: Martin Dreyer, Marco und Daniel Benyamin stehen vor einer Leinwand, auf der groß ein Stierschädel und W:O:A 2022 (das Logo vom Wackenfestival) zu sehen sind.

Nee, ich habe diesmal keinen Bock, wieder den Demutsscheiß-Beweis zu erbringen. Nicht wieder dieses „ich bin so klein“-Ding fahren, „bloß nicht zu dick auftragen“, damit keiner oder keine denkt, man wäre doch nur wieder ein dummer Angeber. Ich hasse das ja selbst, diese „Zeugnisgeschichten“ von zweifelhaften christlichen Musikern, wenn sie von ihren grandiosen Auftritten und „Best Of-Aufnahmen“ berichten. Gerade habe ich wieder einen Newsletter abbestellt, weil mich die geistlichen Selbstbeweihräucherungsorgasmen so angekotzt haben. Aber jetzt bin ich zu müde. Ich war viele Stunden unterwegs und morgen muss ich ganz früh raus. Da werde ich nicht jedes Wort noch mal durch die Schleim-am-Boden-Schleife ziehen, um ja nicht zu großkotzig und bloß nicht stolz zu wirken.

Also, ICH habe es zum dritten Mal geschafft. Ja – ICH. Und ICH bin stolz da drauf: Ich war auf dem größten Heavy Metal-Festival auf einer Bühne und habe dort etwas getan, was sonst niemand aus der evangelikalen Szene jemals geschafft hätte. Ich sage es noch mal: NIEMAND.
Und ich weiß, dass viele es gerne tun würden. Sie würden sich alle zehn Losungskärtchen danach lecken, nur um einmal auf einer der Bühnen auf dem Wacken Open Air zu stehen um dort „den Herrrrn zu verkünden“.

Dieses Mal wieder 100.000 Besucher. Ja, und ich, der kleine Martin, war nun zum dritten Mal da. Auf einer Bühne. Ich wurde eingeladen. Ich habe meinen Glauben bekannt. Ich habe dafür sogar Geld bekommen. Ich habe nicht nur VIP-Karten gehabt (pah, damit gebe ich mich nicht mehr ab). Nein, ich war ARTIST. Ich durfte in der Artist Village ein und aus gehen. Dort konnte ich mich massieren lassen, vom leckersten Buffet der Welt essen, trinken was und wie viel ich wollte. Und neben mir, da saßen sie, die Stars der Szene: Slipknot, Iron Maiden, Judas Priest, Overkill; ich war mit ihnen auf dem selben Klo, wir aßen vom gleichen Tisch, wir haben die gleiche Luft geatmet.

Ja, so war das. Und keine Sau hat es interessiert. Nicht mal Jesus.de hat berichtet. BILD? Sogar Idea war ’ne Nullnummer. Aber jetzt, jetzt kommt es ganz fett: Hier, in der Korrekten Bande!

Mir kam die Idee, es diesmal mit Daniel Benyamin zu probieren, eine Konzertlesung. Daniel und ich sind seit langer Zeit gut befreundet. Und er war sowieso gerade mit seiner neuen Platte und dem genialen Schlagzeuger Marco Tanzola auf Tour. Wir haben nicht geprobt, aber eine ganz gute Zusammenstellung von Text und Ton gefunden. Insgesamt durften wir zwei Mal hintereinander auf einer Nebenbühne auftreten, jeweils 45 Minuten. Und, wie war es? Es war „geht so“.

Daniel und Marco habe es echt gerockt. Die erste Lesung war auch cool und ich habe – glaube ich – ganz gut gelesen. Im zweiten Block gab es einen Zwischenruf, der mich irgendwie aus dem Konzept gebracht hat. Ich weiß auch nicht warum. Ich war irgendwie nicht gut drauf. Habe dann den Lesepart spontan abgekürzt und der Musik mehr Raum gegeben. Das war so nicht abgesprochen und hat auch zu einer kurzen Verwirrung auf der Bühne geführt. Und ich hab mich anschließend totgeärgert, dass ich nicht souverän genug war, das abzufedern. Die guten Antworten auf Zwischenrufe fallen einem immer zu spät ein. Und irgendwie schon blöd, denn ich bin ja nun über 30 Jahre auf irgendwelchen Bühnen unterwegs. Aber eben kein Profi. Zu dumm.

Es gab aber danach ein sehr schönes Gespräch mit zwei Frauen, die vor der Bühne standen. Sie wollten gerne noch mehr von meinem Panik-Pastor-Buch hören und baten mich an ihren Tisch: Es folgte ein sehr langes und intensives Gespräch. Schließlich kam heraus, dass mir zwei aufkommende TikTok-Stars gegenüber saßen! Die beiden betreiben einen Kanal mit tausenden Followern, wo sie über „Übersinnliches, Dämonen und Geister“ berichten, aus eigener Erfahrung. Da wird mal auf einem Grab übernachtet oder es werden im Dunkeln irgendwelche Geister gefilmt. Und die beiden? Die waren völlig begeistert von unserem Gig. Am Ende haben sie mich sogar noch interviewt, dass Ding kann man sich auf TikTok immer noch anschauen.

Also, kacke noch mal. Es war doch geil. Ich war geil. Zumindest ein wenig. Und trotzdem hat mich dieser Fehler wieder eine schlaflose Nacht gekostet und ich habe mich wie blöd geärgert, warum ich nicht einfach durchziehen konnte. Klar, das hat nichts mit Demutsscheiß-Beweis zu tun. So war das halt.

Martin Dreyer weiß nicht mehr so recht, als was er sich definieren soll. Und das mit 57 Jahren, na super. Er ist Lehrer, Schriftsteller, Basketballspieler, immer mehr Vater, immer weniger Prediger und findet es manchmal anstrengend, dass der Weg der Veränderung irgendwie nie aufzuhören scheint.

3 thoughts on “Martin auf Wacken – ein Angeber-Text

  1. Hallo Martin, wie cool, dass du dein Licht immer wieder auf den Scheffel stellst und sichtbar wirst. Ich verstehe an deinem Text das Abgrenzen von Angebern und dem „demütig sein“ nicht wirklich. Wer demütig ist, kann sich doch freimütig, kindlich feiern für sein Dasein, für sein Tun. Einfach, weil es wahr ist. Ist doch alles fein. Sowohl bei dir als auch bei dem Newsletter, den du abbestellt hast.
    Danke für den Bericht! Ich feier‘, dass du und Daniel das zusammen gemacht habt und dass du mit den tiktok influencerinnen reden konntest.
    Schwesterliche Grüße, Michaela

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